Bandscheibenschaden - Berufskrankheit oder nicht ?
von Constanze Würfel
Bandscheibenschaden – Berufskrankheit oder nicht ?
Das Bundessozialgericht hatte am 30.10.07 einen Fall aus dem Unfallversicherungsrecht, nämlich die Frage der Anerkennung eines Bandscheibenschadens als Berufskrankheit zu verhandeln. Die Richter sahen sich gehalten, zur Geeignetheit der Richtwerte des Mainz-Dortmunder-Dosismodells ( MDD) Stellung zu nehmen. Das MDD wird von den Berufsgenossenschaften als Grundlage für die Feststellung herangezogen, ob ein beruflich bedingtes erhöhtes Krankheitsrisiko vorliegt. Um einen Bandscheibenschaden als Berufskrankheit anerkannt zu erhalten, muss nachgewiesen sein, dass der Versicherte beruflich einer als gesundheitsgefährdend eingestuften Gesamtbelastungsdosis ausgesetzt war. Das BSG wies darauf hin, das zwischenzeitlich die abgeschlossene Deutsche Wirbelsäulenstudie Schwächen des MDD aufgedeckt hat. So würden die Ergebnisse dieser Studie darauf hin deuten, dass auch unterhalb der Orientierungswerte nach dem MDD ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen bestehen kann. Das Erreichen einer bestimmten Mindesttagesdosis, wie nach dem MDD gefordert, könne nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr verlangt werden. Im Hinblick auf diese bestehenden Unsicherheiten und dem Umstand, dass aktuell ein den wissenschaftlichen Erkenntnisstand besser abbildendes Alternativmodell nicht zur Verfügung steht, seien die Richtwerte des MDD für die Gesamtbelastungsdosis zu halbieren. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, hier tätig zu werden und eine geeignete Grundlage für die Berufskrankheitenfeststellung zu finden.
Versicherte , die gegenüber der Berufsgenossenschaft eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 Anl BKV 8 bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) durchsetzen wollen, sollten sich diese Argumentation zu eigen machen..
Constanze Würfel
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 20.08.2019 (B 2 U 1/18 R) entschieden, dass ein Arbeitsuchender, der in einem Unternehmen einen "Probearbeitstag" verrichtet und sich dabei verletzt, gesetzlich unfallversichert ist. Der Kläger, der sich auf eine Stelle als Lkw-Fahrer bei einem Entsorger von Lebensmittelabfällen beworben hatte, vereinbarte im Vorstellungsgespräch mit dem Unternehmer, einen "Probearbeitstag" zu absolvieren.
Ein Arbeitsunfall kann auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer nicht seiner Arbeit nachgeht. Neben den klassischen Wegeunfällen ist dies auch bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen, wie etwa Jubiläums- oder Weihnachtsfeiern möglich. Der Arbeitnehmer steht dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, er hat Anspruch auf Heilbehandlung zulasten der Berufsgenossenschaften, auf Verletztengeld und ggf. eine Verletztenrente.
Es müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat in einem aktuellen Urteil vom 18.06.2015, L 9 U 1534/14, die schon bisher in der Rechtsprechung vorherschende Auffassung bestätigt. Ein Arbeitnehmer, der seine Tätigkeit unterbricht, um eine Pause zu machen, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Daher wurde die Klage einer Verkäuferin abgewiesen, die sich in einer Kantine verletzt und erhebliche Verletzungen zugezogen hatte.
Wer an einer Berufskrankheit leidet oder einen Arbeitsunfall erlitten hat, sieht sich meist einem langen Verfahren ausgesetzt, bis er dafür endlich eine Leistung beziehen kann. Aufgrund neuerer BSG-Rechtsprechung ist das ganze Verfahren noch umständlicher geworden und kann durchaus um Jahre länger dauern, wenn nicht die richtigen Schritte unternommen werden. Hintergrund ist eine prozessuale Voraussetzung im Sozialgerichtsverfahren: Wer klagt, braucht einen Bescheid der Behörde, den er mit der Klage anfechten kann. Das Bundessozialgericht hat folgendes klargestellt:
Wie das Hessische Landessozialgericht in einer aktuellen Entscheidung vom 12.02.2008, L 3 U 82/06, festgestellt hat, besteht Anspruch auf eine Unfallrente, wenn ein Arbeitnehmer auf dem Weg von oder zur Arbeit Opfer einer Gewalttat und dabei verletzt wird.
Die beklagte Berufsgenossenschaft hatte dies zunächst abgelehnt, weil es sich bei dem gezielten Angriff nicht um ein Ereignis gehandelt habe, das mit der betrieblichen Tätigkeit in Zusammenhang stand.
Das Bundessozialgericht hat im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung eine wichtige Entscheidung getroffen: Es hat klargestellt, daß auch psychische oder psychosomatische, oder mit anderen Worten, überempfindliche Reaktionen auf einen Arbeitsunfall, von der Berufsgenossenschaft als Unfallfolge anerkannt werden müssen (Urteil vom 9.5.2006). Dies war im Prinzip auch vorher schon der Fall, wurde aber insbesondere von Gutachtern oft falsch gesehen.